Die Apotheke war eines der hübschesten Häuser am Ende der Vorderstraße; jenseits derselben lagen die großen Gemeindeländereien, mit der echt alt­deutschen Reduplikation, deren meine Heimatge­nossen sich wohl nicht mehr bewusst waren, „Gart­garten“ genannt, und zwischen beiden bildete die hier breiter fließende Aue die Grenze zwischen Stadt und Dorf. (Julius Rodenberg: Aus der Kindheit).

Die Apotheke, anschl. der Stadtgraben und das heutige Sparkassengebäude, damals noch ein Rest vom ehemaligen, über die Straße gebauten Rathauses.

Da hat uns J. Rodenberg ja wieder einige Rätsel mit auf den Weg gegeben …
Das von ihm als „eines der hübschesten Häuser am Ende der Vorderstraße“ bezeichnete Apo­theke ist natürlich das neoklassizistische Gebäude der heutigen und gerade umgebauten Apotheke.
Der Gartgarten, heute Standort der 1907 gebauten Julius-Rodenberg-Schule, war damals ein im Domänenbesitz befindliches Gartengelände. Die heutige Straße dort, „Im Jagdgarten“, mag ihren Namen in sprachlicher An­lehnung an den ehemaligen „Gartgarten“ (Haupt- oder zentraler Garten) bekom­men haben.
Der Begriff „altdeutsche Reduplikation“ (Verdoppe­lung) beschreibt die regelmäßige Anordnung der damaligen Kleingärten.

Julius R. beschreibt den Übergang von der Stadt Rodenberg in die selbstständige Vorortgemeinde Mühlenstraße und „jenseits derselben“ begann die Landgemeinde Grove.

1. Die Bildung der Einheitsgemeinde Rodenberg.
Wie in dieser Chronik schon des näheren berichtet worden ist, bestand seit altersher unser Heimatort aus der Stadt Rodenberg (die heutige Altstadt), ferner aus den Vorortsgemeinden Rodenbergertor und Mühlenstraße und aus der Landgemeinde Grove. Um 1837 wurde auf Betreiben des Rintelner Landrats Heinrich v. Loßberg eine Vereinigung dieser vier, so unmittelbar zusammen liegenden Orte zu einem einheitlichen Gemeindewesen regierungsseitig ins Auge gefasst. (A. Mithoff, Die Chronik der Stadt Rodenberg)

Bereits von 1807 bis 1813 waren unter Napoleon die Gemeinden zur Einheitsgemeinde Rodenberg zusammengelegt worden. Mit dem Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig revidierte der hessische Kurfürst alle Veränderungen der napoleonischen Zeit, auch die durchaus wertvollen Errungenschaften („Code Napoleon“ oder „Code civil“ ).

Im Vordergrund das „Behrendsche Haus“, heute Oberheide, dann ein mir unbekanntes Haus, und als drittes das Haus E.A. Meier. Hinter Meier verlief der Stadtgraben. Das Fachwerkhaus am rechten Bildrand (Fleischerei Rauch) gehört schon zur Stadt.

Zur Vorortgemeinde Mühlenstraße gehörte nicht nur die rechts und links der heutigen gleichnamigen Straße, sondern auch die Häuser gegenüber, wie E. A. Meier und Oberheide, ehem. Foto Lamm gehörten dazu. Als kleinster Vorort war sie genau drei Häuser tief und ca. elf Häuser lang. Entstanden ist die Vorortgemeinde zwischen dem östlichen Stadtgraben und der Steinaue.

 

Angesiedelt haben sich dort Menschen, die keinen der begehrten Bürgerbriefe der Stadt besaßen, speziell auch Menschen jüdischen Glaubens.
Die Anzahl der Bürgerbriefe für die Stadt richtete sich nach den dort vorhandenen Grundstücken und die waren endlich. Erst wenn in der Stadt jemand sein Grundstück verkaufte oder die Familie keine Nachkommen mehr besaß wurde ein Grundstück mit Bürgerbrief frei. Es ist denkbar, dass sich die Mühlenstraße nach dem Dreißigjährige Krieg, also nach 1648 bildete. Damals verloren die Stadtbefestigungen ihren Sinn, denn für starken Geschütze war eine Stadtmauer kein Hindernis.
Im Gegensatz dazu hätte eine frühere Ansiedlung der Mühlenstraße eine Verteidigung der Stadt eher behindert. Als Beleg kann auch das Baujahr der Häuser dort dienen, die zum großen Teil am Ende des 17. Jahrhunderts errichtet worden sein dürften.

Die Mühlenstraße hat ihren Namen von der am Ende der Straße gelegenen Stadtmühle, die 1729 durch ein Hochwasser zerstört wurde. Erst 120 Jahr später stand durch den Bau der Windmühle wieder ein städtische Mühle zur Verfügung, denn die Burgmühle sowie die Maschmühle waren im Besitz des hess. Kurfürsten.

Die Substanz der an sich idyllische Bebauung der Mühlenstraße, von der Aue-Seite auch „Klein Venedig“ genannt, hat in den letzten Jahrzehnten sehr gelitten. Unsachgemäße Sanierung, Vernachlässigung und bis in die neunziger Jahre häufige Hochwasser haben dem Bild der Straße mit Ihren Häusern arg zugesetzt.

Nebenstehend ein Plan der Stadt von 1833 mit einem Ausschnitt der Mühlenstraße. Zu Orientierung: Die Karte ist „gesüdet“, also Norden ist unten. Die Hausnummer 64 ist die heutige Sparkasse, die Hausnummer 17 ist die Apotheke. Quelle: Landeskirchliches Archiv Hannover; Kirchenkreis Grafschaft Schaumburg; Rodenberg; Familienbuch 1750-1880, Bild 3 –
zur Verfügung gestellt von H. Finger.