von Hubert Finger, Arno Paduch, Joachim Siebold, Rudolf Zerries

Ein 370 Jahre verschollener Sohn der Stadt Rodenberg wurde wiedergefunden!  Die Geschichte ist spannend  und umfangreich zugleich, weshalb sie als Dreiteiler erscheint.
Auf die Spur hat uns übrigens der Musikdozent Arno Paduch gebracht. Besten Dank noch einmal auch von hier!!! Besten Dank auch an meine Co-Autoren Joachim und Hubert!

Wer war Johann Anton Coberg?

Das renommierte musikwissenschaftliche Nachschlagewerk MGG schreibt über J. A. Coberg: „geb. 1650 in Rotenburg an der Fulda (Hessen), †1708 in Berlin, Organist, Cembalist und Kompo­nist. Coberg kam als Junge an die Lateinschule in Hannover und erhielt seinen ersten musikali­schen Unterricht vermutlich bei dem Stadtkantor Johann Georg Gumbrecht (um 1664–1697). Spä­ter wurde er von den namhaftesten Mu­sikern der herzoglichen Hofkapelle, Cl. H. Abel und N. A. Strungk in Gesang, im Gamben-, Lauten-, Cembalo- und Orgelspiel sowie in der Komposition un­terwiesen.
Seit 1668 diente Coberg in der Hofkapelle, zunächst als Diskantist, schließlich als Gambist und Cembalist. (…) Coberg, der mit der Spielweise der französischen Clavecinisten vertraut war, avan­cierte zum Organisten der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis und 1681 zum Hoforg. an der lutherischen Schloßkirche. (…)
Johann Anton Cobergs Wirken am Hof in Hannover fällt in die kulturelle Blütezeit des Hoflebens unter der Herrschaft des aufgeklärten Herzogs (ab 1692 Kurfürsten) Ernst August. Seine Wertschät­zung als Musiker und Pädagoge lässt sich daran erkennen, dass er Zutritt zu dem erlesenen Zirkel um die Prinzessin Sophie Charlotte, den Hofkpm. A. Steffani und G. W. Leibniz erlangte.“ (s. Fischer, 2016 im MGG)

Der Wunstorfer Dozent Arno Paduch an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig schreibt zu Coberg: „Als Organist am Hof zu Hannover und mit engen Verbin­dungen auch zum Berliner Hof war Coberg zu seinen Lebzeiten ein bekannter Komponist. Musika­lisch gehört Coberg zu der Komponistengeneration, die am „alten“ Stil z. B. des Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein geschult waren und den neuen italienischen Opernstil Cavallis und Legrenzis adaptierten. Diese damals vollkommen neue Musik dürfte das gewesen sein, was den jun­gen Johann Sebastian Bach an Coberg interessiert haben dürfte.“

Der Kirchenbucheintrag in Berlin im Jahr 1708 lautet: Den 9.ten Dec. ist Hr. Coberg, Music. zu Hannover auf Ordre des Crohn-Printze Königl. Hoheit, alhier in einem Gewölbe, solemniter (=feierlich) beygesetzet worden (s. Landeskirchliches Archiv in Berlin).

Zurück zum MGG-Eintrag: Gebo­ren ist Coberg im Jahr 1650 (vgl. Matthe­son 1740, S. 37). Er unter­richtete die hoch gebildete und sehr musikinteressierte „Kurprinzes­sin von Hannover“ und späte­re preußi­sche Königin Sophie Charlot­te (Schloss „Charlottenburg“). Auch nach Sophie-Charlottes Tod im Jahr 1705 genoss er offensichtlich weiterhin hohes Ansehen am Berliner Hof. 1708 verstarb er bei seinem letzten Aufenthalt in Berlin und wurde auf Anordnung des Kronprinzen und späteren Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. dort sehr ehrenvoll beigesetzt (s. Landeskirchliches Archiv in Berlin). Das Lan­des­geschichtliche Informationssystem Hessen vermutet seinen Tod +17.12.1708 in Hannover (s. LAGIS), der nebenstehende Berliner Kirchen­bucheintrag vom 9. Dez. 1708 lässt aber eher auf Berlin als Be­stattungsort schließen.

Quelle: https://statues.vanderkrogt.net/

Hinsichtlich des Geburtsortes von Coberg ist sich die Stadt Rotenburg im heutigen Bundesland Hes­sen offenbar sicher, setzte sie ihm im Jahr 2013 doch ein Denkmal in Form einer Bronzestatue. Er­wähnt wird Coberg als ein „Sohn der Stadt“ auf der Webseite von Rotenburg/Fulda.
Tatsächlich gibt es genau eine historische Quelle, die dazu geeignet sein könnte, Rotenburg/Fulda als Geburtsort Cobergs zu verorten: ein Artikel in dem Buch „Grundlage einer Ehren-Pforte“ vom Musikpublizisten Johann Mattheson aus dem Jahr 1740.

 

Erste Zweifel am Geburtsort Rotenburg/Fulda

„Johann Anthon Coberg ist An.1650 im Städtlein Rotenburg, an der Fulda, zur Graffschaft Schauenburg, niederhessischen Antheils, gehörig, auf diese Welt gebohren. Sein Vater ist desselben Ortes Bürgermeister gewesen.“ (s. Mattheson 1740, S. 37).

Mit diesen Worten leitet Johann Mattheson den Artikel zum Komponisten Johann Anton Coberg in seiner „Grundlage einer Ehren-Pforte“ von 1740 ein. Ein Leser, der über Grundkenntnisse der Terri­torialgeschichte des damaligen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im 17. Jahr­hundert verfügt, wird einen grundlegenden inneren Widerspruch in diesen Zeilen erkennen. Zwar lag und liegt die Stadt Rotenburg an der Fulda in Hessen, gehörte aber niemals zur Grafschaft Schaumburg. Beim hessischen Anteil der Grafschaft Schaumburg handelte es sich um das Amt Schaumburg, Rinteln an der Weser und um das Amt Rodenberg mit der gleichnamigen Stadt. Diese Gebiete fielen mit Beendigung der Erbauseinandersetzung nach dem Tode des Grafen Otto V., dem letzten Graf von Holstein-Pinneberg und Schaumburg, im Jahr 1647 an Hessen-Kassel (vgl. Schmidt 1920, Ka­pitel 6, auch Wippermann 1853, S. 2712, 274 u. 275). Hierzu ge­hörten sie bis zum Jahr 1866. Heute sind sie Bestandteil des Landkreises Schaumburg in Nieder­sachsen.

Dem aufmerksamen Leser stellt sich somit die Frage, welche Aussage Matthesons falsch ist. Stammt Coberg aus Rotenburg an der Fulda und der Verweis auf Schaumburg ist ein Versehen, oder waren Mattheson, bzw. seinem Zuträger, die territorialen Verhältnisse zwischen Weser und Leine nicht geläufig, so dass er eine Stadt Rodenberg in Hessen nur als Rotenburg an der Fulda verorten konnte?

Der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels liegt in der Angabe, Cobergs Vater sei Bürgermeister in seiner Geburtsstadt gewesen …
———————————————————————————
Teil 2 „Kirchenbuch- und Chronikrecherche“ erscheint am 04.08.2020,
Teil 3 „Die Gedächnispredigt für den verstorbenen Sohn von J. A. Coberg“ und die Schlussbetrachtung erscheint am 11.08.2020