Mit dem Alter ist das so eine Sache: Der/die Eine feiert zum dritten mal den 39. Geburtstag und der kleine Junge an der Supermarktkasse behauptet, schon längst 18 Jahre alt zu sein. Um das wirkliche Alter bei den Menschen festzustellen genügt ein Blick in den Personalausweis.

Nicht so bei Häusern. Sind sie jüngeren Baujahres – so um die 50 – 70 Jahre alt, lässt sich das an vielleicht noch vorhandenen Dokumenten festmachen. Ist das Haus über einhundert – oder gar 200 Jahre alt wird es schwer. Da helfen dann nur historische Unterlagen wie alte Ortspläne, Hausnummernlisten oder Chroniken.

Anlass für diesen Artikel ist ein immer mal wieder zum Verkauf stehendes Haus „Suntalstraße 2“, das Eckhaus zw. Suntalstraße und Bahnhofstraße. Als Baujahr wird auf der Verkaufsplattform das Jahr „1914“ angegeben.

Ist es möglich, dieses Baujahr zu bestätigen oder zu widerlegen? Welche Werkzeuge gibt es dafür?
In der Vergleichstabelle alte/neue Hausnummern von Grove (Artikel: Wie Grove zu Hausnummern kam …) findet sich zur aktuellen Hausnummer die alte Hausnummer „Grove Nr. 55“. Wie wir aus dem o.a. Artikel wissen, sind die Nummer Grove 1-96 im Jahr 1732 vergeben worden, und zwar für die damals schon bebauten Grundstücke. Später gebaute Häuser beginnen mit der Nummer „Grove 97“ und folgende. Als Vorbesitzer für „Grove 55“ sind die Familien Bruns, Ritterbusch, Griese, Brand und Linnemann bekannt.

Somit wissen wir, dass das Grundstück bereits vor 1732 bebaut war. Doch ist das Haus noch das gleiche? Oder ist vielleicht ein Vorgängerbau abgebrandt oder anderweitig ersetzt worden? Immerhin wird im Expose erwähnt: „Bitte beachten Sie, dass die Räume nicht durchgängig über eine Deckenhöhe von 2,40 Metern verfügen.“ Übrigens: Räume mit weniger als zwei Metern Deckenhöhe werden nur zu 50% zur Wohnfläche gezählt.

Doch bevor wir uns der Substanz widmen werfen wir einen Blick auf die zeitgenössischen Karten…:

Hier ein Kartenausschnitt von 1790: Von links, durch das große „G“ von Grove kommt die Lange Straße, die in der Kurve in die Suntalstraße übergeht. Der Pfeil zeigt auf das betreffende Haus. Das Haus darüber, im Norden, musste Anfang des 20. Jahrhunderts der Bahnhofstraße weichen. Die blaue Linie zeigt die damals noch offen verlaufende Ackersbeke.
Auch auf einer Katasterkarte von Rodenberg/Grove aus dem Jahr 1777 ist die noch heute aus drei Häusern bestehende Reihe zu sehen.

Karte von ca. 1870

Auf einer Karte von ca. 1870 ist das Haus neben den zwei im Süden stehenden Häusern Suntalstr. 4 und 6 gut zu erkennen. Auch der östliche Stallanbau ist schon vorhanden.

Als drittes betrachten wir die Substanz: Die Fassade ist zum großen Teil mit Backsteinen verblendet und mit (dem Brandbeschleuniger) Styropor verkleidet. Allerdings lässt sich spätestens beim Blick unter die zur Bahnhofstraße hin gelegene Traufe erkennen, dass der gesamte vordere Wohnbereich in Fachwerkbauweise mit Lehmausfachung errichtet wurde. Die Fotos der Innenräume bestätigen diese Annahme. Ein Blick auf die Rückseite des Hauses zeigt den Fachwerkgiebels als letzten Beweis.

Zusammengefasst: Nicht nur die alte Hausnummer, die alten Pläne sondern auch die Bauweise sprechen recht deutlich gegen das Baujahr 1914. Zu der Zeit hat niemand mehr ein Wohnhaus in Fachwerkbauweise errichtet. So wurden schon 1859 bei allen dem Stadtbrand zum Opfer gefallenen Häusern mindestens die Außenwände in Ziegelbauweise errichtet.
Das Baujahr dieses zum Verkauf stehenden Hauses dürfte deshalb auf die Zeit von vor 1732 zu verorten sein. Es ist also fast zweihundert Jahre älter als angegeben.

Suntalstraße 1 (Quelle F. Hecht)

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Foto von 1896 in die Hände. Es zeigt das noch heute bestehende, gegenüber dem fraglichen Gebäude liegende Haus Suntalstraße 1. Die alte Hausnummer „Grove 58“ (Vorbesitzer: Deterding, Klingenberg, Meier, Schwarzlos) deutet auf das gleiche Alter wie das zum Verkauf stehende Haus. Solche Häuser dienten den Besitzern vorrangig als Stall- und Vorratsgebäude und nur das mit niedrigen Decken ausgestattet Obergeschoss wurde von den Familien bewohnt. Das Vieh im Erdgeschoss wärmte die Wohnräume im Obergeschoss …
Auch dieses Haus ist bis zur Unkenntlichkeit umgebaut und mit Backsteinen verblendet worden. Ungeachtet dessen bleibt es ein Haus aus dem frühen 18. Jahrhundert.